Die
Lage im Italien des 14. Jahrhunderts ist nicht sehr vielversprechend:
Das Land ist zerrissen, der Papst weilt im fernen Avignon im
Babylonischen Exil und römisch-deutsche Könige machen oft ihren Anspruch
auf das Land geltend. Könnte Robert von Anjou (1278–1343), der König
von Neapel, der Mann sein, der alles zum Guten wendet? Der Verfasser des
vorliegenden Lobgedichts ist fest davon überzeugt: Robert sei der
einzige, so wird er überschwänglich gepriesen, der Italien einen und die
Kirche retten könne. Die Würde und Bedeutung dieser Aussage
unterstützen schon das ungewöhnliche Format (48,5 x 34,4 cm) und die 43
monumentalen Miniaturen, die den Betrachter geschickt zu einem fast
intimen Zwiegespräch einladen. Politisch und militärisch war Robert zwar
nicht so erfolgreich, wie es das Lobgedicht glauben machen könnte, aber
er trägt den Beinamen „Il Saggio“, der Weise: Giotto di Bondone,
Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio hat er großzügig gefördert.
Monumentale Miniaturen in Gold und Silber
Mit dem um 1340 entstandenen Lobgedicht auf Robert von Anjou, König von
Neapel (1278–1343), hütet die Österreichische Nationalbibliothek eines
der wichtigsten Zeugnisse der mittelalterlichen Herrschaftsinszenierung
und zugleich eines der herausragendsten Beispiele der Buchmalerei des
14. Jahrhunderts.
Eine Ausstattung, eines Königs würdig
Insgesamt 43 großformatige Miniaturen auf 72 Seiten, reich ausgestattet
mit ziseliertem Gold und Silber, illustrieren diesen außergewöhnlichen
Codex. Die zum Teil ganzseitigen Miniaturen beeindrucken durch das
monumentale Format der Handschrift (48,5 x 34,4 cm); 29
Fleuronnée-Initialen und 8 Deckfarben-Initialen auf Goldgrund ergänzen
die phantastische Ausstattung.
Kaleidoskopartig wird nahezu der gesamte
mittelalterlich–frühneuzeitliche Bildungskanon ausgebreitet. Somit zeugt
die Handschrift vom verschwenderischen intellektuellen und
künstlerischen Aufwand, der zur Inszenierung des Königtums von Robert
von Anjou betrieben wurde. Einiges spricht dafür, dass Robert selbst die
Herstellung der Handschrift veranlasste.
Der Inhalt – Programm und Vermächtnis
Das Lobgedicht auf Robert von Anjou stellt den König als idealen
Herrscher dar, der allein fähig sei, Italien unter seiner Herrschaft zu
einigen. Denn Italien ist zerrissen: Robert soll als zukünftiger
Herrscher die Verhältnisse seiner Zeit ordnen. Der Verfasser beklagt,
dass Italien im Gegensatz zu anderen Staaten keinen König habe; ebenso
prangert er die Abwesenheit der Päpste von Rom während ihres
„Babylonischen“ Exils in Avignon (1309–1376) an.
Prachtvolles Kaleidoskop des 14. Jahrhunderts
Der Codex enthält zwei reich bebilderte Teile. Der umfangreichere erste
Abschnitt umfasst das Lobgedicht (regia carmina) auf König Robert von
Anjou, ein in der damals für Herrscherlob üblichen Art überschwängliches
Poem, das den Adressaten als Retter der Kirche und idealen König ganz
Italiens feiert.
43 goldglänzende Miniaturen
Die Miniaturen stellen den „idealen“ Hofstaat Roberts vor: Allegorien
Italiens und italienischer Städte sowie Tugenden, die den König als
idealen Herrscher preisen. So treten die für ihr Land bittende Italia
oder mythologische Gestalten der Antike vor den Thron Roberts. Der König
sieht sich selbst als von Gott für seine Aufgabe auserwählt, Italien zu
einigen. Entsprechend wird in mehreren großartigen Miniaturen der
himmlische Hofstaat dem seinen gegenübergestellt.
Der hl. Augustinus als „Zeuge“
Der zweite Teil unterstützt die Absicht, den König als den idealen
Herrscher darzustellen: mit Zitaten des hl. Augustinus, die auf Robert
bezogen sind – über die vier Kardinaltugenden, die christlichen Tugenden
sowie Allegorien der freien Künste. Die Darstellungen zeugen vom
beeindruckenden Können der beteiligten Buchmaler.
Robert von Anjou – Schicksal zwischen königlichem Anspruch und europäischer Realität
Geboren 1278, war Robert ein Enkel des großen Karl von Anjou. Seine
Kindheit verbrachte er nach einer verlorenen Seeschlacht seines Vaters,
Karls II. von Neapel, in Geiselhaft am aragonesischen Hof. 1309 – nach
dem Tod Karls II. – wurde Robert König von Neapel und Sizilien. Er
erfreute sich der päpstlichen Gunst, da die Päpste – seit 1309 in
Avignon – ihn als „ihren“ Mann in Italien sahen, der dem Imperium die
Stirn bieten und die Interessen des Papsttums vertreten könnte. So stand
er bis zu seinem Tod 1343 in Konflikt mit den deutschen Herrschern, von
Kaiser Heinrich VII. bis zu Ludwig dem Bayern, die, der Tradition seit
Karl dem Großen folgend, Italien als ihren Besitz ansahen. Politisch war
Robert nicht sehr erfolgreich, umso beeindruckender ist dieses Zeugnis
seines Anspruchs auf die Einigung Italiens, die erst 500 Jahre später
verwirklicht wurde.
Überquellende Farbenfreude: Fleuronnée- und Deckfarben-Initialen
Der Text wird durch rote und blaue Schmuckbuchstaben gegliedert, die
reich mit Fleuronnée in der jeweiligen Gegenfarbe geschmückt sind. Im
zweiten Teil der Handschrift stehen den Fleuronnée-Initialen auch
Deckfarben-Initialen mit reichlicher Verwendung von poliertem Blattgold
gegenüber. Ihre plastische Modellierung und die strahlende Farbigkeit
zeugen von der Kunstfertigkeit der ausführenden Maler.
Das Geheimnis um den Autor
Der Text muss zwischen 1334 und 1343 entstanden sein. Er gibt auch
Hinweise auf den bisher nicht eindeutig identifizierten Autor: Dieser
bezeichnet sich als Professor aus Prato, der das Poem gedichtet hat. In
der Forschung wird er deshalb mehrheitlich mit Convenevole da Prato
(1270/75–1338) gleichgesetzt, der auch Lehrer Francesco Petrarcas
(1304–1374) war.