Zwischen
829 und 837 wurde in Konstantinopel von anonymen Buchkünstlern eine
illuminierte Handschrift verfasst, die das Medium des Buches zu jener
Zeit völlig revolutionierte. Der sogenannte Chludow-Psalter, der seinen
heutigen Titel nach seinem letzten Besitzer Alexei Chludow erhielt, ist
ein unvergleichliches Meisterwerk der byzantinischen Buchkunst. Ein Teil
des Werkes befasst sich mit dem Bilderstreit im Byzantinischen Reich,
der während des 9. Jahrhunderts wütete und von großer politischer und
religiöser Bedeutung war. Eine Miniatur zeigt zum ersten Mal in der
Geschichte des Buches eine Karikatur zur Stilisierung des Konflikts.
Der Chludow-Psalter
Über Jahrtausende hinweg nutzten Staat und Kirche die Macht von Bildern,
um ihren Status geltend zu machen, ihre Doktrin zu lehren und Glauben
und Ergebenheit zu erzeugen. Aus denselben Gründen wurden unzählige
Kunstwerke in Zeiten des Konflikts vernichtet: Gebäude wurden zerstört,
Statuen zerschmettert und Bilder verbrannt. Schwerwiegende Ausbrüche des Ikonoklasmus
– der absichtlichen Zerstörung von Bildnissen – wiederholten sich
regelmäßig im Lauf der Geschichte. Der sogenannte Chludow-Psalter
entstand zur Zeit des Bilderstreits im Byzantinischen Reich
während der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Der ungewöhnlich
polemische Stil des Werkes belegt die Leidenschaft des Streites der
Ikonoklasten gegen die Ikonodulen, also die Vertreter der
Bilderverehrung. Es handelt sich hierbei um ein einzigartiges
liturgisches Werk, das mit 209 wahrhaft revolutionären Abbildungen verziert ist.
Ein unvergleichliches literarisches Erzeugnis
Der
Chludow-Psalter ist der älteste von drei etwa in der Mitte des 9.
Jahrhunderts entstandenen, bis heute erhaltenen illuminierten Psaltern
aus dem Byzantinischen Reich. Ein Teil des Psalters geht auf den
byzantinischen Bilderstreit ein und bedient sich dabei eines einzigartigen Mittels, welches nie zuvor in einem liturgischen Buch Anwendung fand. Die anonymen Buchkünstler verwendeten eine Karikatur zur Stilisierung des politischen und religiösen Konflikts. Karikiert wurde der letzte ikonoklastische Patriarch von Konstantinopel, Johannes VII. Grammatikos.
Eine Miniatur des Psalters illustriert den Psalm 69, Vers 21: „Sie
geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst.“ Im
Hintergrund ist die Kreuzigung Jesu Christi auf dem Berg Golgota
dargestellt. Ein Soldat reicht Christus einen mit Essig getränkten
Schwamm an einer Stange. Davor befindet sich eine Darstellung des
Patriarchen, der ein Christus-Bild mit einem ähnlichen Schwamm an einer
Stange auslöscht. Johannes Grammatikos karikierte man, hier wie auf anderen Seiten, mit wirren, in alle Richtungen abstehenden Haaren, um ihn bei den eleganten Byzantinern lächerlich zu machen.
Die Geschichte eines historisch bedeutenden Meisterwerkes
Der russische Historiker und Experte für byzantinische Kunstgeschichte, Nikodim Kondakow,
geht davon aus, dass der Psalter im Kloster Stoudios in Konstantinopel
entstanden ist. Andere Wissenschaftler sind der Meinung, dass die im
Text zitierten liturgischen Antworten nur in der Hagia Sophia gegeben
worden wären und dass der Psalter in den kaiserlichen Werkstätten von Konstantinopel
im Jahr 843, kurz nach der Wiedererlangung der Macht durch die
Ikonodulen, hergestellt wurde. Nach seiner Fertigstellung bewahrte man
den Psalter auf dem Heiligen Berg Athos auf, bis ihn ein russischer Slawist im Jahr 1847 nach Moskau brachte. Dort wurde er von dem altgläubigen Kunsthändler und -sammler Aleksey Ivanovich Khludov
erworben, nach dem der Psalter später benannt wurde. Die Handschrift
wurde zusammen mit anderen Teilen seiner Sammlung dem Nikolai-Kloster
vermacht und befindet sich seit 1917 im Staatlichen Historischen Museum in Moskau.
Revolutionäres Bildprogramm
Die erstaunlichen Miniaturen und Randverzierungen des Psalters sind nicht nur herausragend aufgrund ihrer hochwertigen Gestaltung und vielfältigen Farbgebung. Gleichzeitig sind es weltweit die ersten bildlichen Darstellungen in einem illuminierten Manuskript, die zusätzlich mit textlichen Erläuterungen versehen wurden. Ein weiteres Novum bilden kleine Pfeile, die aus dem Text heraus auf die Abbildungen zeigen. Diese Pfeile sollen verdeutlichen, auf welche Zeile sich welche Illustration bezieht. Der Inhalt der Miniaturen ist nicht auf kanonische christliche Sujets beschränkt. Die Ränder der Handschrift stellen die historischen Persönlichkeiten der Zeit des Byzantinischen Bilderstreits dar und die Miniaturen spiegeln die Auseinandersetzungen im gesellschaftlichen Leben der Epoche wider. Es handelt sich bei dieser Illumination um ein wahrhaft einzigartiges und unvergleichliches Bildprogramm.